Jeder hat ein Thema mit seinem Körper und die wenigsten dieser Themen sind positiv behaftet. Wann trifft man schon jemanden, der oder die nichts an sich auszusetzen hat und wenn wir so jemanden treffen, können wir das einfach so annehmen oder gilt das als arrogant oder suchen wir dann das Haar in der Suppe? Gehört es zum guten Ton, nicht mit sich zufrieden zu sein? Ich tanze nun schon fast mein ganzes Leben lang und trotzdem bin ich nicht jeden Tag dankbar, dass mein Körper das nahezu verletzungsfrei mitgemacht hat, sondern ärgere mich über alters bedingte Zipperlein oder die eine oder andere Stelle, die mir zu viel erscheint. Geplant ist eine intensive Bewegungsrecherche, zum Thema wie kann ich einen Nachteil umwandeln in einen Vorteil.
Gerade als Tänzerin werden mir immer wieder eigene Grenzen aufgezeigt, die es gilt zu überspielen oder aber die im Zweifel dafür verantwortlich sind, bestimmte Passagen nicht übernehmen zu können. Ich merke aber immer wieder, gerade in Zusammenarbeit mit KollegInnen, dass mir gerade diese vermeintlichen Handicaps besonders gefallen. Ich wollte in zwei Monaten erforschen, wie sich verschiedene Typen, unterschiedlich bewegen und wie man jeden zum Experten seiner selbst machen könnte.
Ich habe einen Aufruf auf Instagram und Facebook gestartet, der wie folgt ausgesehen hat:
- Wie bewegst du dich, wenn du allein Zuhause deinen Lieblingssong hörst?
(Bitte erstelle mir ein Video ca. 1 min und schicke es an 0176/20070976)
Beschreibe dich kurz und knapp. (Nur Äußerlichkeiten) - Gibt es etwas an deinem Äußeren, was dich stört oder sogar einschränkt?
Wenn ja, was?
Ist deine Bewegung deshalb speziell? - Gibt es etwas an deinem Äußeren, was dich bevorteilt?
Wenn ja, was?
Ist deine Bewegung deshalb speziell? - Wie bewegst du dich, wenn du allein Zuhause deinen Lieblingssong hörst? Stell dir nun vor, dass es nichts gibt, was dich an dir selbst stört. Versuche sogar die Dinge, die dich stören, besonders in den Vordergrund zu rücken. (Bitte erstelle mir ein Video ca. 1 min und schicke es mir wieder an 0176/20070976)
Es sind von 13 völlig verschiedenen Personen Videos eingegangen. Zusätzlich habe ich einen Workshop, zum gleichen Thema, mit Nachwuchs-Tänzerinnen zwischen 14 und 21 gemacht und einen mit einer Gruppe von 6-8-jährigen.
Nach dem ersten Video hat die Selbstbeschreibung z.B. so ausgesehen:
Manuel: Ich bin groß, schlaksig und fühle mich trotzdem klein. Oft komme ich mir vor, wie ein großer Hund, der trotzdem gerne wie ein Schoßhündchen behandelt werden würde. Ich kann nicht tanzen, mache es dennoch gerne.
Astrid: Ich bin klein, kurvig, untersetzt. Ich habe unpraktisch große Brüste, manchmal Schmerzen in der linken Hüfte. Oft Schmerzen im rechten Schulter-Nacken-Bereich und grundsätzlich eine Haltungsschwäche. Mit meiner Haut im Gesicht bin ich unzufrieden.
In der Regel habe ich nach dem ersten Video oder der ersten Improvisation auch ein kleines Feedback gegeben und oftmals hat sich Bewegung, durch das Feedback aber auch die modifizierte Aufgabenstellung, deutlich verändert.
Im nächsten Schritt habe ich versucht, beide Videos nachzutanzen. Weniger mit dem Augenmerk, dass ich die Person kopieren möchte, als das ich nachspüren wollte, wie sich andere bewegende Körper sich anfühlen.
Während der Arbeit habe ich allerdings festgestellt, dass wir die Möglichkeit haben, mit einer leicht veränderten Bewegung, bzw. mit der positiven Besetzung, der eigens schlecht ernannten Eigenschaft, ein völlig neues „Mindset“ kreieren können. Dies wiederum befähigt den Tänzer, die Tänzerin sich seiner/ihrer selbst zu ermächtigen.
Die Arbeit ist für mich nicht abgeschlossen, sondern war eher ein Startschuss, für eine andauernde Bewegungsrecherche. In 6 Fällen, habe ich mich gut reinversetzen können. Der Rest muss noch öfter bearbeitet werden.
Die Bewegungsrecherche hat mich dazu motivert, mich zum gleichen Thema für eine Projektförderung beim Kulturreferat der Stadt München zu bewerben. Entstehen soll Tanztheater für junges Publikum mit 3-4 professionellen DarstellerInnen.
Vielen Dank an das Flausen+ Team an meine beiden Mentorinnen, an das Team vom Meta-Theater für diese wertvollen und berührenden Erfahrungen.
Seit 2013 inszeniert und choreographiert die Münchnerin Judith Seibert Stücke für Kinder und Jugendliche. 2020 wurde sie mit ihrem Stück „Benimmichnicht!“ für die Bay. Theatertage eigeladen.