Gastspiele in:
2000 - BRD
Schauplatz in Yukio Mishima’s Theaterstück ist ein surreales Krankenhaus. Ein Geschäftsmann besucht seine unter mysteriösen Umständen erkrankte Frau, die nachts von dem lebenden Geist seiner früheren Geliebten heimgesucht wird. Diese Frau führt ihn in die Vergangenheit zurück, als sie jung und verliebt waren, an den Ort der Verletzung, wo die Obsessionen der Geliebten ihren fatalen Wandel nahmen. Sie läßt ihn verwirrt und aus seiner Lebensbahn geworfen zurück. Hat er das alles nur geträumt? Oder ist ihm wirklich ein Geist begegnet?
Mishimas poetische Sprache und seine ganz eigene Bildsymbolik machen diesen nächtlichen Schrecken zu einem subtilen, vielschichtigen Theatererlebnis. Die Dame Aoi gilt als modernes Nô Drama.
„Es ist fast unmöglich, die gesamte stilisierte Schönheit eines Nô Spiels zu übertragen. Ich habe nur das Thema übernommen.“
– Mishima
Konsequenterweise werden die Techniken des klassischen Nô Spiels nicht imitiert, sondern durch eine moderne Formensprache lebendig gemacht.
Regie führt George Ferencz aus New York. Er hat sich nicht nur an Ellen Stewarts La Mama Theater einen Namen gemacht, sondern auch durch zahlreiche andere Off-Off-Broadway-Inszenierungen. Der japanische Bühnenbildner Watoku Ueno, ebenfalls am La Mama Theater New York tätig, hat einen ausgefallenen theatralen Raum konzipiert, einfach und voller Suggestivkraft.
Regie | George Ferencz |
Musik | Helga Pogatschar |
Kostüme | Barbara Schaucher |
Maske | Georgette Künsemüller |
Bühnenbild | Watoku Ueno |
Lichtdesign | Markward Scheck |
Photos | Jean-Marie Bottequin |
Grafik | Michael Stahl |
Darsteller | Hede Beck, Elisabeth Erhard, Daniela Schneider, Axel Tangerding |
Dauer | circa 70 Minuten |
Aufführungsrechte | Rowohlt Verlag Reinbeck |
Organisation | Meta Theater Produktion in Zusammenarbeit mit dem La Mama Theater New York |
Premiere | 7. Juli 2000 | Meta Theater Moosach |
8. / 9. / 14. / 15. Juli 2000 | Meta Theater Moosach | |
26. / 27. / 28. / 29. Oktober 2000 | Meta Theater Moosach |
Yukio Mishimas
„Das menschliche Leben ist kurz, ich aber möchte ewig leben.“
Das sind Yukio Mishimas letzte Worte, die er im Morgengrauen des 25. November 1970 auf ein Blatt Papier schrieb. Wenig später beging er zusammen mit seinem Freund Morita im Verteidigungsministerium in Tokio einen spektakulären Selbstmord durch das Schwert. „Wenn ich diese letzten 25 Jahre in Gedanken an mir vorüberziehen lasse, er füllt ihre Leere mich mit Erstaunen. Ich kann kaum sagen, daß ich gelebt habe“, stellte er ein Jahr zuvor fest. Seine Mutter kommentierte den Selbstmord ihres Sohnes, der gerade 45 Jahre alt geworden ist, mit den Worten: „Klagen Sie nicht um ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er genau das getan, was er sich immer wünschte.“
Mishima hatte ein schillerndes Leben geführt, voller Intensität, durch die Faszination, die der Tod auf ihn ausübte, noch gesteigert. Yukio Mishima wurde 1925 in Tokio geboren und früh von seiner starken, aristokratischen Großmutter in ihre Gemächer geholt. Dort verbrachte er mit ihr, abgeschottet von anderen Kindern und einer normalen Außenwelt, ein Leben in Luxus, Krankheit und Träumerei. Er trug ihre Nervenkrisen, lernte ihre Wunden zu pflegen, half ihr auf die Toilette, trug Mädchenkleider und besuchte mit ihr rituelle Nô Spiele und melodramatische Kabuki Stücke.
Früh reifte Yukio Mishima an der Seite dieser langsam verfallenden Frau heran und machte seine Beobachtungen über die Fremdheit der Dinge. Eifersüchtig von ihr geliebt, versuchte er ihrer Liebe gerecht zu werden. Mit 8 Jahren hatte ich eine Geliebte von 60 Jahren, sagte er einmal über diese Beziehung. Als Heranwachsender verschanzte er sich hinter Büchern und entwickelte sich zu einem blassen, mageren, äußerst gebildeten jungen Mann, der sich früh seiner homosexuellen Neigung bewußt war. Im Japan der 50er Jahre konnte er sich allerdings noch nicht offen dazu bekennen.
Er studierte Jura, zog sich aber nach kurzer Tätigkeit als Finanzbeamter ganz in seine literarische Welt zurück und veröffentlichte mit 24 Jahren seinen ersten autobiographischen Roman, Geständnis einer Maske. Über Nacht wurde dieser ein Erfolg und auch seine zahlreichen anderen Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke brachten ihm Anerkennung und Wohlstand. Mishima versuchte sich auch als Schauspieler in mittelmäßigen Filmen, schrieb Drehbücher und führte selbst Regie.
Er betrieb inzwischen ausgiebig Körperkultur, posierte für Presse und Fotobildbände, verkehrte in Nachtklubs und war mit Drag-Queens liiert. Parallel dazu heiratete er – seiner Mutter zuliebe -, wurde Vater von zwei Kindern und führte ein bürgerliches Leben.
Der Hagakure, der Ehrenkodex, der im 18. Jahrhundert aus der Ethik der Samurai entstand, faszinierte ihn und gab ihm in der Zeit politischer und wirtschaftlicher Umbrüche nach dem 2. Weltkrieg Halt. Mit Sorge beobachtete Mishima die Amerikanisierung Japans und gründete als Reaktion auf die Studentenunruhen eine eigene Armee aus hundert Soldaten, die den japanischen Kaiser schützen und ihn zu seiner Macht zurückführen sollte. Das Geld und der Materialismus herrschen, das moderne Japan ist abscheulich, sagte er drei Monate vor seinem Tod. Durch seine Kunst erfahren wir die faszinierende Gegenwelt.
Noh Theater
Die über 600 Jahre alte, über Generationen hinweg vom Vater auf den Sohn weitergegebene Kunst des japanischen Noh Theaters hat ihren Ursprung in shintoistischen Festtänzen und buddhistischen Tanzdramen. Mit minimalsten Bewegungen kann der Noh Spieler größte Wirkung erzielen. Noh Tanz ist Reduktion der Bewegung in vollendeter Form und unterscheidet sich grundlegend von westlichen Tanzstilen.
Einer der ersten Nicht-Japaner, der je ein Noh Spiel zu sehen bekam, war der amerikanische General Ulysses S. Grant. Im Jahr 1870 kam er während einer Weltreise auch nach Tokio, und seine Gastgeber baten den großen Noh Spieler Hôshô Karô, eine Vorstellung zu geben. Es wäre nun durchaus nicht überraschend gewesen, wenn der alte grauhaarige Ex-Krieger beim Anblick der feierlich-priesterlichen Bewegungen dieser symbolischen Darstellung eingeschlafen wäre, aber es wird berichtet, daß er sich nach Beendigung des Spiels voller Bewunderung zu seinen Gastgebern gewandt und gesagt habe: »Das müssen sie pflegen und bewahren.« Grant wußte vermutlich nicht, daß die Erhaltung der Noh Spiele zu jener Zeit tatsächlich in Frage gestellt war.
In der ursprünglichen Form waren die Noh Spiele wesentlich einfacher. Sie hatten sich aus bestimmten Spielen entwickelt, die in Tempeln und Heiligtümern bei Erntefesten und anderen Feierlichkeiten oder bei Zusammenkünften der Ortsbewohner vorgeführt wurden.
Im 14. Jahrhundert wurden diese ländlichen Unterhaltungen dann durch das Genie zweier Männer zu einer der bedeutendsten dramatischen Formen der Welt umgestaltet. Diese Männer waren Kan’ami Kiyotsugu (1333 – 1384) und sein Sohn Seami Motokiyo (1363 – 1443). In mancher Hinsicht erinnern die Noh Spiele an das griechische Drama der Antike: auch dort traten nur wenige Personen auf, auch dort gab es einen Chor; Tänze und Masken und auch dort wurden häufig traditionelle oder legendäre Themen behandelt. Aber während das griechische Drama im Verlauf der Zeit immer realistischer wurde, entwickelten sich die Nô Spiel zu einer fast rein symbolischen Kunstform, bei der sowohl der Text der Stücke wie die Bewegungen der Darsteller unausgesprochene und undefinierbare Realitäten versinnbildlichen wollten.
Presse:
Zur PresseseiteEbersberger Zeitung 31.5./1.6.00
Aoi zwischen Hass, Begierde, Leidenschaft
Neues Stück vom Meta Theater
Mishimas Theaterstück Aoi basiert auf einem klassischen Stoff des japanischen Nô Theaters. Die moderne Adaption versetzt die Handlung in ein Krankenhaus. Die drei Figuren sind in ein tragisch endendes Geflecht aus Hass, sexuellen Begierden und grenzenloser Leidenschaft versponnen… Mishima habe seine Obsessionen mit Poesie verbunden, worin der Regisseur George Ferencz seine Bedeutung sehe. Ferencz lege bei allen seinen Aufführungen Wert darauf, die Sprachbarrieren zu überbrücken. Seine Zuschauer sollten die gezeigten Stücke verstehen, auch wenn sie die Sprache nicht beherrschten. Daher arbeite er stark mit Aktionen und Handlungen, über die der innnere Zustand der Figuren sichtbar würde. Dies habe er auch im japanischen Nô Theater entdeckt, das mit einer starken Betonung der Gestik und Mimik arbeite. Der sprachliche Ausdruck trete zugunsten des körperlichen zurück… Mishimas Stück Aoi, eine Dreiecksgeschichte um besitzergreifende Liebe, ist immer aktuell.
Herbert Temmes
Süddeutsches Zeitung / ENN Kultur 3./4.Juni 2000
Das fühlt sich gut an
Meta Theater probt wieder ein japanisches Nô Drama…
„der Text sei das stärkste Mittel“, sagt Ferencz. Wie ein Gedicht klinge jedes einzelne Michima Wort in seinen Ohren. Das sei Poesie pur. Er als Regisseur habe gemeinsam mit Darstellern und Bühnenbildner lediglich die Aufgabe, den poetischen Text mit Magie zum Pulsieren zu bringen. Zeit und Raum existieren nicht. Das Stück spielt gezielt zwischen Realität und Fiktion und erzählt eine verworrene Liebesgeschichte. … Watoku Ueno hat einen abstrakten Raum geschaffen… Weiße Tücher, die sich über und um alte Baumäste spannen, symbolisieren das Krankenhaus. … „Jeder soll verstehen können“ sagt Ferencz. Darum arbeite er mit einer starken visuellen Bildsprache sowie Musik. Und natürlich weiß er auch von diesem elektrisierendem Gefühl. Er drückt es so aus: „Sex is in the air.“
Carolin Fries
Süddeutsche Zeitung / ENN Kultur 7.Juni 2000
Sex als Rätsel und Abgrund…
Was in dem Stück des japanischen Schriftstellers Yukio Michima Realität, was Fiktion ist, bleibt ungeklärt. Da gibt es keine Abgrenzung: Rätsel bleiben gewollt offen… Das Meta Theater setzt auf symbolische Bilder anstatt auf Dialogschlachten. Worte erklären lediglich Zusammenhänge. … Aoi, ein ungewöhnliches Stück, das das Meta Theater auf außergewöhnliche Art und Weise inszeniert hat.
Carolin Fries
Ebersberger Zeitung 1./2.Juli 2000
Liebe ist ein chemischer Prozeß
Meta Theater inszeniert exzessives Stück
Theater hautnah: das bietet mit seiner neuesten Produktion Aoi das Meta Theater. Ein von Obsessionen und Leidenschaftlichkeit, von Energie wie Agression strotzendes Stück in einer Inszenierung, bei der die greifbare Körperlichkeit auch den Betrachter an die Schmerzgrenze führt. Das Drama um eine selbstzerstörerische Liebe, um Selbsthass wie Unterwürfigkeit setzt Regisseur George Ferencz als ein an archaischen Mustern reiches Spiel um… Die gekonnt ausgeleuchtete Bühne unterstützt die angerissenen Metamorphosen: vom Krankenhaus hin zu einem Bootsausflug und wieder zurück. Das Licht konturiert gemeinsam mit den eingespielten Geräuschen die Daseinsebenen und schafft so Transparenz… Der Meta Theater Truppe gelingt es, Michimas Stück ohne Pomp in einer energiegeladenen Inszenierung umzusetzen, ohne atemlos zu werden…
Herbert Temmes
Hallo Ebersberg 5./6.Juli 2000
Die Dame Aoi
Ein Liebesdrama aus der Vergangenheit, das die Gegenwart erneut zu verwirren droht… Die poetische Sprache und die ganz eigen Bildsymbolik des Autors machen diesen nächtlichen Schrecken zu einem subtilen und vielschichtigen Theatererlebnis…
Sabine Radloff
Ebersberger Zeitung 10.Juli 2000
Dunkle Lichtgestalten
Gelungenen Mischung aus Spiel und Dialog Yukio Mishimas Stück Aoi findet in der mit modernen wie auch mit Mitteln des Tanztheaters arbeitenden Inszenierung in der Meta-Theater-Truppe Mimen, denen eine Verbindung aus den aktuellen Themen des Stückes und der an das japanische Nô Spiel angelehnten Umsetzung ein ausdrucksstarker und wuchtiger Bilderreigen gelingt… Das Stück in der Inszenierung des am New Yorker La Mama Theater arbeitenden George Ferencz setzt diese Zwischenwelten durch eine reich nuancierte, alle Sinne ansprechende Aufführung um… Die gelungene Kombination visueller und akustischer Elemente unterstützt das dem Dialog gleichgewichtige angelegte Spiel… Das Meta Theater erlebte am Premierenabend eine durch die abwechslungsreichen Tempi der Inszenierung die Spannung haltende Aufführung. Im fast vollbesetzten Theater kam der Beifall am Ende auffallend zögerlich, nicht, weil die exzellente Vorstellung nicht gefiel, sondern die starken Bilder ihre Beobachter gefangen hielt.
Herbert Temmes
Süddeutsche Zeitung / ENN Kultur 10.Juli 2000
Entblößte Sexualkomplexe Moosacher Premiere der Dame Aoi…
Skuril und verspielt, mit ungewohnt ausdrucksstarken Bildern hat Regisseur George Ferencz vom New Yorker La Mama Theater das moderne Nô Drama von Yukio Mishima umgesetzt. Und das vor einem fantastischen Bühnenbild seines New Yorker Kollegen Watoku Ueno. Eine hölzerne Bühne, die schlicht und unkompliziert wirkt, aber enorm aufwendig gestaltet ist. Erst während der Aufführung begreift der Besucher die Raffinessen und Möglichkeiten dieses Bildes… Alles nur geträumt? ist nicht die einzige Frage, die am Ende offen bleibt, weil das Meta Theater auf aussagekräftige Bilder und die Sprache des Körpers setzte: Der symbolhafte Erzähl-Gestus beherrscht das Spiel, was der erfahrenen Meta-Gruppe einmal mehr gelingt. Ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Das Meta Theater beweist einmal mehr Mut zu eigenwilligem Stil und Kreativität.
Carolin Fries