Freitag 1. Oktober 2021
19:00 Uhr
Meta Theater, Osteranger 8, 85665 Moosach bei Grafing
Vortrag von Johannes Stüttgen / im Rahmen der Veranstaltungsreihe „In jedem Detail das Ganze – 100 Jahre Joseph Beuys“
Beuys und das Theater
Über Beuys ist viel geschrieben worden. Unter allen möglichen Blickwinkeln wurde sein Schaffen dokumentiert und reflektiert. So gibt es Untersuchungen zu „Beuys und das Material“, „Beuys und die Musik“, „Beuys und die Medizin“, „Beuys und Christus“ und viele mehr. Im Kern bestätigen sie die These, dass in jedem von Beuys bearbeiteten Feld,
so auch in jedem von ihm bearbeiteten Detail, das Ganze steckt. Einzig über “Beuys und das Theater“ gibt es noch keine nähergehenden Untersuchungen. Theater inszeniert Räume als Forum für Akteure, die im Zusammenspiel von Sprache, Musik, Mimik, Gestik, Kostüm und Requisiten komplexe Botschaften an die Menschen richten. Nichts anderes
hat Beuys gemacht mit seinem „Theater mit dem Hut“, der Anglerjacke und seinem Auftritt als Mensch und Kunstwerk. Während der langen Phase von Happening und „Fluxus“ bis zur Aktionskunst und raumbezogenen Inszenierungen: Beuys war das dramaturgische Instrumentarium des Theaters näher als das des Bildenden Künstlers. Seine Kunstwerke sind Requisiten von Aktionen. Immer steht der Mensch im Mittelpunkt der Handlung. Die Tragikomödie war die ihm adäquate Form, in der er die ganze Bandbreite menschlicher Ausdrucksmittel vereint sah. Nur mit einer seiner expliziert als „Theater“ bezeichneten Inszenierungen erreichte er in der Theaterszene Aufsehen: Botho Strauß und Peter Handke waren als Chronisten und Zeitzeugen dabei, als Beuys 1969 im Frankfurter Theater am Turm (TAT) auftrat. Es war eine ungewöhnliche theatralische Collage von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ und Shakespeares „Titus Andronicus“. Während Klaus Peymann und Wolfgang Wiens im Hintergrund monoton auf Tonband den Originaltext rezitierten, agierte Beuys mal ruhig, mal bewegt gestikulierend, mit wenigen Requisiten vor einem Schimmel, der im Hintergrund
Heu fraß. Botho Strauß beschrieb den Auftritt von Beuys in einem Sonderheft der Zeitschrift „Theater Heute“: „Er bringt den Text durch Nachsprechen in seine Sphäre hinüber. In einen Bereich einer so untheaterhaften Spontaneität, einer so gelassenen Verlegenheit auch, wie sie auf einer Bühne kaum sonst sich zu behaupten wüsste.“ Peter Handke kam im Wochenmagazin der ZEIT zu einem ähnlichen Resumé: „(…) erst im Nachbild fängt es auch in einem selber zu arbeiten an. Und eine aufgeregte Ruhe überkommt einen, wenn man daran denkt: Es aktiviert einen, es ist so schmerzlich schön, dass es utopisch, und das heißt politisch wird. Von Beuys konnte man lernen. noch im Theater, noch während man zuschaute, musste man, wollte man nicht steril unwillig bleiben, sich verändern. Was man sah, bestätigte einen nicht, sondern stellte einen in Frage, brachte einen dazu, sein Untertanenzuschauen zu überdenken.“ Auch Johannes Stüttgen war zugegen, als Beuys in Frankfurt auftrat: Eine eindrückliche Beschreibung des Bühnenerlebnis von „Iphigenie/Titus Andronicus“ findet sich in seinem Werk „Der ganze Riemen“. Text: Wolfger Pöhlmann
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