Der Tanz mit dem Raum, Teil 1:
Produkt und Prozess
oder wie ich den Raum kennenlerne
1. Tag
Ich komme mit einem Plan an und weiß, was ich gleich tun werde. Ich möchte Arbeiten in den Bühnenraum übertragen, d.h. ich nutze Techniken und visuelle Aspekte, die ich schon kenne.
Das entspricht natürlich nicht dem Sinn von Recherche, ich bin schon vor dem Anfangen auf ein finales Produkt fixiert. Ich versuche mich vom “gleich-loslegen-müssen” zu lösen, wirklich zu forschen und mich auf den Ort mit seinen Besonderheiten einzulassen. Dabei entsteht kreativer Fluss und ich kann entdecken, was ich vorher nicht kannte, mir nicht
einmal vorstellen konnte.
Bei meiner Raumerkundung beginne ich mit der Architektur. Sie ist fest, gegeben. Ich kann sie nutzen aber nicht ändern. Zur Dokumentation benutze ich meine Kamera. Als Fotografin weiß ich, dass sie mehr
Licht sehen kann als ich, allerdings denke ich im ersten Moment nicht daran. Erst beim Betrachten der Bildern wird es mir bewusst und ich entdecke subtile Lichteinfälle. Mit diesem Licht beginne ich zu spielen, es zu verstärken, zu bewegen, zu färben.
Ich arbeite in verschiedene Richtungen und versuche, das Bild erst mal nur wachsen zu lassen, nichts von ihm zu wollen und es nicht zu bewerten.
2. Tag
Heute will ich doch die Sachen ausprobieren, die ich mir vorher überlegt hatte. Ich übertrage die Arbeiten, aber sie passen nicht 100%-tig, müssten geändert werden. Ich bin im “Produktionsmodus” und spule ein Programm ab, das ich schon kenne. So kann ich beispielsweise in mehreren 14 stündigen Arbeitstagen viel leisten und meine Arbeiten auf
Festivals aufbauen. Es fällt mir aber schwer, inne zu halten und neue Wege auszuprobieren. Ich sehe, dass die Installation so nicht passt, aber habe keine Idee, was ich ändern könnte.
Ich bin frustriert und genervt.
Zu Hause merke ich, dass sich hinter der Frustration Angst oder Unsicherheit verbirgt. Was, wenn bei dem ganzen Forschen nix raus kommt? Was, wenn ich keine Idee habe? Ich erlebe das nicht zum ersten Mal. In den anderen Situationen ist es mir gelungen Vertrauen in meinen künstlerischen Prozess zu haben. Dabei sind gute Arbeiten entstanden. Daran erinnere ich mich, trotzdem bleiben Zweifel. Ich mache einen Tag Pause.
3. Tag
Wieder Experiment: ich nähere mich dem Raum, indem ich verschiedene Beleuchtungstechniken und Leuchtmittel einsetze und sie kombiniere. Was passiert beim Mischen mit Farbe und Leuchtkraft?
Kombination aus weißer Beamerprojektion und Natrium-Dampf Lampe. Die Projektion bleibt sichtbar, bis sie die Farbe wechselt. Rot ist komplett unsichtbar.
An dieser Stelle notiere ich bei der Aufbereitung: “Raumverlust!”
Jetzt kann ich endlich in einem Theaterbühnen-Raum arbeiten und beschäftige mich gar nicht mit dem Raum! Verliere ich ihn aus den Augen, wenn ich mich nur auf das Licht fokussiere? Was, wenn ich am Ende ein interessantes Lichtprojekt habe, aber der Raum gar keine Rolle spielt? Oder taucht er an unerwarteter Stelle wieder auf? Eigentlich kann ich den Raum gar nicht verlieren. Licht und Raum sind nur zusammen sichtbar.
Ich bin irritiert. Sonst arbeite ich nämlich immer umgekehrt. Ich fange beim Raum an. Eine meiner Forschungsfragen war: Wie verändert die Bühne als “leerer Raum” meine Arbeit bzw. meine Arbeitsweise? Die Frage kann ich jetzt beantworten: sie nimmt sich erst einmal zurück und lässt dem Licht den Vortritt.
Es folgen weitere Test zur Kombination verschiedener Leuchtmittel: diesmal Videoprojektion mit festinstallierter Theaterbelechtung:
Bei diesen “reinen” Lichttests fällt mir das erste Mal auf, wie sich der Raum “Theater” bemerkbar macht. Nicht mit seiner Architektur, sondern in seiner Funktion als technisch erfahrbarer Ort. Im Arbeitsprozess auf Technik zurückgreifen zu können, die ich vorher nicht mitdenke, verändert meinen Arbeitsprozess und folglich das Produkt.
Zu Hause war mein erster Schritt das entstandene Material zu ordnen, ein ganz banales PDF mit Bildern und kurzen Bildbeschreibungen zu erstellen.
Ist das zu wenig? Ist ja jetzt keine richtige Arbeit, oder? Prokrastiniere ich grade nur? Im Theater habe ich gar nicht an meine Forschungsfragen gedacht…
Ich bin überrascht, wie sich einige meiner Forschungsfragen selbst beantworten, während ich dieses “banale PDF” erstelle.
Sonst nutze ich die Tests und Experimente um eine fertige Arbeit, ein Produkt zu erstellen. Dieses Produkt bereite ich dann auf, für Website, Katalog, etc. – so wie ich jetzt das Forschungsmaterial aufbereite. Aber das Material enthält schon viel und das zeigt sich invder Analyse.
Ich habe kein “Produktionsziel”, deshalb reflektiere ich erst mal mich selbst in diesem Prozess. Die Unsicherheiten. Die Irritation. Und das, was gut läuft, neu und spannend ist. Diese Reflektion wird grade zum Hauptthema des ganzen Projektes. Es geht nicht um die Installation. Es geht um die Reflektion des Prozesses der zur Installation führt. Er ist ein wichtiger Teil der Recherche, aber bleibt sonst im Hintergrund.
Durch die technische Forschung sind mir Aspekte bewusst geworden, mit denen ich mich nie beschäftigt habe, die ich aber sehr spannend finde:
Bedeutung und Verhalten von Lichtfarbe
Farbe im Gegensatz zu keine Farbe
[Johannes Itten: Die Kunst der Farbe, 1970]
Das Forschungsvorhaben
Bei meiner Arbeit betrachte ich Licht als Mittel zur Kommunikation mit dem Raum. Ich erstelle Licht-Großrauminstallationen und Kunst im öffentlichen Raum, dafür benutze ich Videomapping und experimentiere mit unterschiedlichen Lichtquellen und Projektionsflächen.
Bei meiner Residenz am Meta-Theater möchte ich mich 3 Forschungsfeldern widmen: der Beziehung zwischen mir und der Bühne, der Beziehung zwischen Installation und Performer sowie dem Grenzbereich von Bühne und Publikum.
- Die Beziehung zwischen meiner Kunst und dem Bühnenraum
Ich nähere ich mich der Bühne als einem Raum, den ich erkunden möchte. Welches Potenzial birgt der leere Bühnenraum, wenn ich ihn als Installationsort einer ortsspezifischen Arbeit nutze? Kann ich Installationen aus dem öffentlichen Raum für die Bühne umkonzipieren bzw. diese Arbeiten übertragen? Wie verändert die Bühne als „leerer Raum“, der erst einmal im Gegensatz zu den historisch aufgeladenen Räumen steht, mit denen ich sonst arbeite, meine Installation und wie verändert die Installation die Bühne? In welchen Kontext/welche Narration müssen die Installationen eingebettet werden, damit sie auf der Bühne verständlich sind?
- Die Beziehung zwischen Installation und Akteur/Performer (virtuell vs. Mensch)
Ich möchte den Gedanken, dass Licht und Video im Theater das Stück „unterfüttern“ umdrehen und sie zum Hauptakteur machen. Die Bühne dient dabei als Installationsraum. Im Gegensatz zu meinen bisherigen Arbeiten sollen die Installationen durch den Aspekt „bewegter, menschlicher Körper“ erweitert werden. Kann dieser „bewegte, menschliche Körper“ eine rein visuelle Rolle spielen, wie ein zusätzliches Bauelement? Wie sieht die Interaktionsebene von Körper und (digitaler) Installation aus? Welche Charakteristik hat der daraus resultierende performative Akt?
- Die Beziehung von Publikum/Publikumsraum und Bühne
Es ist ein wichtiger Teil meiner Arbeiten, dass die Besucher den Raum durchschreiten und sich so ihrer multi-sensorischen Wahrnehmungsfähigkeit bewusst werden. Mein Anliegen ist es, die Grenze zwischen Kunst und Betrachter aufzuheben. Um ein derartiges Erleben im Kontext Theater zu ermöglichen, muss der Bühnenraum erweitert, seine Grenze verschoben bzw. nicht respektiert werden. Ist diese Grenze nötig? Kann/darf sie ganz aufgehoben werden? Wie kann der Zuschauer multi-sensorisch mit einbezogen werden? Bei der Forschung sollen auch weitere Präsentations- und Vermittlungsmöglichkeiten entwickelt werden. So könnten zum Beispiel Live-Streaming und Videomarketing eingesetzt werden um den prozessualen Charakter von Kunst zu darzustellen. Dem Zuschauer, der es gewohnt ist ein fertiges Stück auf der Bühne zu „konsumieren“, wird ein Einblick in den Entwicklungs- und Forschungsprozess und die damit verbundenen Arbeitsschritte gegeben.
Presse:
Zur PresseseiteEbersberger Zeitung, 02.02.2021
SZ, 04.12.2020 – Tanz mit dem Raum